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Tag 3 – Simone

Die ersten Kilometer nach der Pause waren die Hannoveraner motiviert. Im Laufe des restlichen Tages verstummten dann die Gespräche und sie wurden langsamer. Fabians Bedenken über die Gruppengröße schienen sich zu bestätigen, kleinere Gruppen von Wanderern liefen an ihnen vorbei. Dabei spielte die Zusammensetzung der Hannoveraner eine Rolle. Sie waren altersmäßig gemischt und die überholenden Gruppen bestanden aus jungen, sportlichen Menschen. Aufgrund der fehlenden Fitness und der schmerzenden Füßen wurde die Frequenz der benötigten Pausen kürzer, während deren Dauer sich verlängerte.

Viele Autos waren aufgebrochen und auf das Geräusch von klirrendem Glas reagierte niemand mehr. Aus den liegen gebliebenen Lastwagen wurde munter geplündert, wobei sich Simone wunderte, wieso jemand große Flachbild-Fernseher wegtrug, anstatt sich um dringender Benötigtes zu kümmern.

Sie selbst hatte für zwei Tage genügend Trinkwasser, hatte aber mitbekommen, dass manche aus der Gruppe ihre Vorräte aufgebraucht hatten. Während einer Pause kam es zu einem Streit, bei dem einige die Aufteilung der vorhandenen Reserven forderten, aber andere das rigoros ablehnten.

Fabian versuchte, zwischen den Parteien zu vermitteln: »Wir können die Vorräte im nächsten Ort wieder auffüllen!«

Eine der Geschäftsfrauen reagierte empört: »Nur weil sich einige ihr Wasser nicht einteilen können, soll ich von meinem abgeben? Vor allem wissen wir nicht, ob wir so schnell wieder etwas bekommen. Habt ihr euch umgeschaut, wie viele hier unterwegs sind?«

Dem hielt direkt einer der Geschäftsmänner entgegen: »Größere Menschen brauchen mehr Wasser, das wurde nicht berücksichtigt.«

»Wir müssen etwas zu Essen suchen«, schaltete sich einer der Älteren der Gruppe in das Gespräch ein. »Wir sollten sofort den nächsten Ort aufsuchen.«

»Und dann?«, giftete die Geschäftsfrau ihn an. »Glauben Sie, die haben noch etwas? Und selbst wenn: So viel wie wir brauchen, bekommen wir nirgendwo. Ich gehe weiter, mein Wasser behalte ich für mich und wer mitkommen möchte, mir nach!«

Sie stand auf und schaute fordernd in die Runde.

»Gehen Sie!«, wütete der ältere Herr zurück. »Wir brauchen Sie nicht und versuchen unser Glück da drüben im Ort.«

Fabian sah betroffen hin und her: »Wir könnten gemeinsam zum Ort gehen und versuchen, unsere Vorräte aufzufüllen.«

»Fabian«, fing die Geschäftsfrau an, »nichts gegen Sie, aber Ihr Führungsstil ist miserabel. Mit Optimismus alleine ist so eine große Gruppe nicht zu führen. Sie müssen klare Vorgaben machen. Hätten Sie das getan, würden jetzt nicht so viele auf dem Trockenen sitzen. Ich schlage vor, dass wir die restlichen Nahrungsmittel aus dem Fahrradhänger unter allen aufteilen. Ich mache mich alleine auf den Weg.«

»Sie müssen nicht allein gehen.« Drei andere Personen waren aufgestanden. »Wir wollen unseren Anteil der Vorräte.«

»Undankbares Pack«, raunte Arne. »Fabian hat uns eine Unterkunft organisiert und es war sein Auftreten, dass uns die Vorräte verschafft hat. Und bei den ersten Problemen, die sich andeuten, verlassen manche wie Ratten das sinkende Schiff? So was wie euch … »

Fabian unterbrach ihn: »Es reicht Arne. Niemand wird gezwungen, in der Gruppe mitzulaufen, die Vorräte gehören allen, wer uns verlassen möchte, soll seinen Anteil nehmen. Ich wünsche jedem alles Gute und Gottes Segen!«

Nach einem kurzen Moment der Stille ergriff die Geschäftsfrau die Initiative: »Geht doch.«

Sie ging zum Fahrradanhänger, nahm sich einen kleinen Anteil der Vorräte und ging zum Rand der Gruppe. Die anderen folgten ihrem Beispiel und ohne sich umzudrehen, verließen sie die Hannoveraner.

»Arne, ich danke dir für deinen Rückhalt«, sagte Fabian, »und halte mich bitte nicht für undankbar, ich wollte nicht noch mehr Streit und böse Worte und ich glaube, nichts hätte die Trennung verhindert. Und so ganz unrecht hat sie nicht, wir müssen die Vorräte anders aufteilen, besser rationieren.«

»Das ist aber nicht alleine deine Aufgabe.« Arne schien sauer zu sein. »Da kann man doch vernünftig drüber reden und muss nicht gleich ausfallend werden.«

Simone unterstützte ihn: »Wir waren …, wir sind eine Gruppe und bevor man Vorwürfe macht, könnte man erst mal gemeinsam Lösungen suchen.«

»Lasst uns nach vorne schauen«, schlug Fabian vor. »Ich nehme an, dass jeder, der hier ist, dazu bereit ist, sein Wasser mit den anderen zu teilen?«

Mit leichtem Zögern nickten einige.

»Ich bin euch dankbar«, fuhr Fabian fort. »Lasst uns probieren, ob wir dort im Ort Hilfe finden.«

Die mittlerweile auf zwölf Personen geschrumpfte Gruppe verließ die Autobahn und lief auf einem planierten Feldweg auf das Dorf zu. Als sie bei einem Erdbeerfeld vorbeikamen, schlug Helge vor, sich dort ein paar Früchte zu nehmen. Wie die anderen aß Simone die ungewaschenen Beeren und konnte sich nicht daran erinnern, je etwas Schmackhafteres gegessen zu haben.

»Hey«, rief ein mittelalter, rundlicher Mann. »Was macht ihr auf meinem Feld?«

»Entschuldigung.« Fabian ging auf ihn zu. »Wir hatten Hunger und …«

»Sie klauen meine Früchte!« Der Mann fuchtelte mit seinem Gehstock drohend in der Luft. »Diebespack, macht euch weg, bevor ich mich vergesse.«

»Selbstverständlich bezahlen wir sie«, bot Simone an.

»Mädchen!« Er sah Simone herablassend an. »Und wenn ich nicht an euch hätte verkaufen wollen?«

»Das können wir leider nicht mehr ändern.« Simone ließ sich nicht beirren. »Wie viel wollen Sie denn dafür haben?«

»Mal sehen.« Er fing an, die Gruppe zu zählen. »Zwölf Leute, jeder ein Kilo, ich würde sagen, mit 300 Euro sind wir quitt.«

»Selbst wenn jeder von uns ein Kilo Erdbeeren gegessen hätte«, entgegnete Fabian, »wären das mehr als zwanzig Euro pro Kilo. Meinen sie nicht, dass das ein unverschämter Preis ist?« »Ja Sie haben recht«, schien der Mann ein Einsehen zu haben. »Angebot und Nachfrage, ich denke 500 Euro wären angebracht. Wenn sie mit dem Preis nicht einverstanden sind, können Sie mir meine Früchte gerne zurückgeben.«

… das Kapitel ist hier noch nicht fertig, in dieser Leseprobe schon.